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Jüdische Perspektiven

Eine Reflexion von mir (der Interviewerin) zu meiner jüdischen Identität

In meiner Kindheit waren soziale Kontakte innerhalb der jüdischen Gemeinschaft besonders bedeutsam. Sie vermittelten mir ein Gefühl von Verbundenheit und Zugehörigkeit. Ich empfand es als etwas Besonderes, jüdisch zu sein, vor allem wenn ich auf neue Menschen traf. Es faszinierte mich, Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein und ich genoss das Gefühl von Zusammenhalt. Insbesondere die Geschichten und Rituale meiner Religion fand ich interessant. Ich erinnere mich, dass ich oft betete, vor allem wenn ich mir etwas wünschte wie einen eigenen Hund. Von meinen Eltern habe ich in meiner Entwicklung mitbekommen, dass das Jüdisch-Sein etwas einzigartiges sei und rückblickend wie die Zugehörigkeit zu einer Nation dargestellt wurde.

In der Zeit als Jugendliche nahm meine religiöse Praxis ab, und das Judentum wurde eher zu einem gesellschaftlichen Ereignis als zu einem persönlichen Glauben an Gott. Trotzdem fühlte ich mich weiterhin mit der Kultur und den Traditionen meiner Religoin verbunden. Wenn ich neue Menschen traf, erlebte ich immer noch dieselbe Reaktion wie in meiner Kindheit.

Als junge Erwachsene distanzierte ich mich größtenteils vom Judentum als Religion, da ich mit vielen religiösen Geboten nicht einverstanden war und sie nicht praktiziere. Dennoch blieb das Judentum ein Teil meiner Identität. Ich fühlte mich jüdisch, auch wenn ich nicht alle religiösen Praktiken befolge.

Mein Lebenspartner und ich führen oft kritische Diskussionen über Religion und unsere persönlichen Überzeugungen. Das Gefühl, etwas Besonderes zu sein aufgrund meiner Religion, erschien mir mehr und mehr seltsam. Ich fragte mich, ob es valide ist, sich anlässlich der religiösen oder nationalen Zugehörigkeit als außergewöhnlich zu betrachten, denn auch meine russischen Wurzeln gaben mir ein ähnliches Gefühl. Es war interessant zu beobachten, wie verschiedene Identitätsmerkmale miteinander verflochten wurden.

Es ist eine Herausforderung, sich von den Überzeugungen zu lösen, die als Kind und Jungendliche präsent waren und die als Quelle der Einzigartigkeit betrachtet wurden. Als Erwachsene überlege ich, welche Eigenschaften wirklich entscheidend sind, um eine Person einzigartig zu machen. Vielleicht sollten wir in unserer Gesellschaft andere Eigenschaften höher schätzen: Persönliche Werte, wie Freundlichkeit, Menschlichkeit und Einfühlsamkeit könnten wichtiger sein, als religiöse oder nationale Zugehörigkeit.

Jeder Mensch strebt nach Bestätigung von außen - es ist ein grundlegendes soziales Bedürfnis des Menschen, sich einer Gemeinschaft zugehörig zu fühlen. Für mich bedeutet das Jüdisch-Sein nicht nur Gemeinschaft und Zugehörigkeit, sondern auch das Hinterfragen von gesellschaftlichen Konzepten wie Nation und Religion. Bereits in der Bibel wird die Verknüpfung von Religion und Nation im Judentum deutlich. Vermutlich ist daher das Jüdisch-Sein noch mehr mit dem Konzept der Nationalität verknüpft als in anderen Religionen, da die Konfession mit der Geburt übertragen wird, eine Konversion aufwändiger ist, und auch gesellschaftliche und politische Strukturen, wie in der damaligen Sowjetunion, dieses Konzept fördern. Zudem erfolgt durch Diskriminierung von außen eine Abgrenzung von innen heraus. Abschließend denke ich, dass es legitim ist, sich besonders zu fühlen - unabhängig davon, ob es wegen der Konfession, Nation oder einer Subkultur ist - allerdings sollten sich Menschen deswegen niemals über andere Gemeinschaften stellen, denn dies resultiert in Diskriminierung und Hass.

in Deutschland